An einem Sonntag, dem 24. September 1848, wurde Henriette Zobel verhaftet. Anonyme Hinweisgeber hatten behauptet, sie wäre an der Tötung der beiden Abgeordneten der Nationalversammlung General Hans von Auerswald und Fürst Felix von Lichnowsky nur wenige Tage zuvor beteiligt gewesen.
Henriette war 35 Jahre alt, kinderlos, geschieden und in zweiter Ehe mit dem Lithografen Karl Zobel verheiratet. Sie habe einen sanften Charakter und führe sich tadellos auf, werden Zeugen später vor Gericht über sie aussagen. An den aktuellen politischen Entwicklungen war sie interessiert, täglich besuchte sie die Sitzungen in der Paulskirche. Das Ehepaar Zobel lebte in Bornheim. An dem verhängnisvollen 18. September kamen beide nach Frankfurt, um Arbeiten bei einem Musikalienhändler abzuliefern. Es war ein schöner, milder Herbsttag – der mit dem Tod von über 50 Menschen enden sollte.
Zwei Tage zuvor, am 16. September, hatte die Frankfurter Nationalversammlung dem Waffenstillstand von Malmö zugestimmt, der die Machtverhältnisse in Schleswig-Holstein regeln sollte. Preußen hatte im Alleingang gehandelt und die Nationalversammlung nicht informiert. Die positive Entscheidung des Frankfurter Parlaments führte zu Wut und Empörung. Eine Volksversammlung, an der über 10.000 Menschen teilgenommen haben sollen – darunter auch Henriette –, brachte kein Ergebnis. Die Stimmung war aufgeheizt. Die Stadt forderte militärische Unterstützung an, und als Soldaten am 18. September den Platz vor der Paulskirche räumen wollten, brach der Aufstand aus. Straßen wurden aufgerissen, aus Pflastersteinen und umgestürzten Kutschen Barrikaden errichtet, die Aufständischen bewaffneten sich. Henriette und ihr Mann wurden von den Kämpfen in Frankfurts Straßen überrascht, die Barrikaden versperrten ihnen den Weg. Sie gerieten in einen Tumult, in den sie nach eigener Aussage aus Neugierde hineingingen.
Die aufgebrachte Menge war auf der Suche nach zwei Reitern. In dem allgemeinen Chaos hatten sich die beiden Abgeordneten Hans von Auerswald und Felix von Lichnowsky zu einem Ritt durch die Stadt aufgemacht, wo sie schon bald erkannt wurden. Vor allem Lichnowsky war aufgrund zahlreicher Karikaturen kein Unbekannter. Wegen seiner aristokratischen Abstammung und konservativen Haltung stand er für alles, was die Revolutionäre ablehnten. Die beiden wurden mit Schüssen und Steinwürfen verfolgt. Bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, versteckten sie sich in einem Haus. Zuerst wurde der General entdeckt, auf die Straße gezerrt und erschossen. Anschließend wurde Fürst Lichnowsky schwer misshandelt und angeschossen. Er starb am Abend an seinen Verletzungen.
Die Zeugenaussagen über die Beteiligung Henriettes Zobels waren widersprüchlich. Nicht alle Zeugen erkannten sie wieder. Sie selbst sagte kaum etwas zum Tathergang aus, nur, dass sie sich nicht mehr erinnern könne. Sie sei zudem wegen ihrer Mittellosigkeit und der trostlosen Aussichten für die Zukunft verzweifelt gewesen. Die Anklage warf ihr vor, mit Steinen nach den Opfern geworfen und mit einem Regenschirm geschlagen zu haben. Dass sie vielleicht mit dem Schirm geschlagen habe, gab sie zu.
Henriette Zobel wurde im Januar 1853 wegen Teilnahme am Komplott zur Tötung Auerswalds sowie der Anstiftung und Rädelsführung zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt, eine vergleichsweise hohe Strafe. Die Beteiligung an der Tötung Lichnowskys konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Zwar wurde sie 1855 von der Beteiligung am Komplott freigesprochen, die Strafe aber nur auf 15 Jahre reduziert. Im Januar 1865 konnte sie aufgrund ihrer schlechten Gesundheit vorzeitig das Gefängnis verlassen. Ihr Regenschirm hat überlebt. Er befindet sich heute im Historischen Museum Frankfurt.
Stefanie Funck
Abb.:
Wilhelm Völker, Ermordung der Abgeordneten von Auerswald und von Lichnowsky, kolorierte Lithografie, in: Scenen aus den Ereignissen des 18. September in Frankfurt/M.: Edmund Gustav May, Frankfurt am Main [o. D.], https://de.wikipedia.org/wiki/Felix_von_Lichnowsky#/media/Datei:Felix_von_Lichnowsky_Hans_von_Auerswald.jpgÖffnet sich in einem neuen Fenster
https://historisches-museum-frankfurt.de/de/node/33850Öffnet sich in einem neuen Fenster
Quellen:
Köstlin, C. Reinhold: Auerswald und Lichnowsky. Ein Zeitbild, nach den Akten des Appellations-Gerichtes zu Frankfurt a. M. mit Genehmigung dieses h. Gerichtshofs dargestellt, Tübingen 1853 https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11753540?page=152,153Öffnet sich in einem neuen Fenster
Schlosser, Gustav: Die Revolution von 1848. Erinnerungen, Gütersloh 1883 https://archive.org/details/bub_gb_v-Dv5IWcjG8C/page/n9/mode/2upÖffnet sich in einem neuen Fenster