Der Arbeitskreis Historische Kartographie tagte am 13.11.2025 – dieses Jahr unter dem Vorsitz des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung (HI) in Person von PD Dr. Christian Lotz und dem HIL unter Prof. Dr. Ulrich Ritzerfeld – im ehemaligen Schloßcafé und heutigen Vortragssaal des HI in Marburg. Neben dem üblichen Kern aus Städteatlasproduzenten, Historikern wie Kartographen, fanden auch zahlreiche andere Wissenschaftler ihren Weg zur Veranstaltung; insgesamt knapp 40 Interessierte folgten den Vorträgen unterschiedlichster Disziplinen, diskutierten, informierten und tauschten sich aus.
Den Auftakt machten die Gastgeber Christian Lotz und Marc Friede mit einem spannenden Einblick in ihren gegenwärtigen Aufbau einer Ortsnamendatenbank, naturgemäß vorwiegend für den osteuropäischen Raum. In diese sollen sowohl analoge als auch digitale Ortsnamenverzeichnisse einfließen, was nicht zuletzt aufgrund der Mehrsprachigkeit, zahlreicher Namensvarianten und zeitlicher Veränderungen eine wohlüberlegte Erfassung und Strukturierung erfordert.
Im anschließenden Block der Städteatlanten berichtete als erstes Tobias Kniep für den Historischen Atlas Westfälischer Städte von dessen Neuerungen. Hervorzuheben sind hier die gerade erfolgte Veröffentlichung von Bödefeld, für das erstmals eine thematische Karte zu den Bonitätsklassen zum Kanon hinzugefügt wurde, sowie die Rekonstruktion historischer Höhenlinien anhand von Wasserleitungs- und Kanalisationsplänen und ein quellenkritischer Kommentar am Ende des Textbandes. Die nächste Mappe im Deutschen Historischen Städteatlas wird sich laut Daniel Stracke und Tobias Runkel Lübeck widmen. Zudem konnte das ebenfalls am Institut für vergleichende Städtegeschichte Münster (IStG) entworfene Projekt „Merkmale von Urbanität in Zeit und Raum“, das sich mit den Kennzeichen städtischer Siedlungen auch unabhängig von etwaigen Rechteverleihungen beschäftigen wird, eine Förderung durch die DFG gewinnen.
Vom HIL präsentierten Niklas Alt und Philipp Peter die diversen Nachfolgeprojekte zum Hessischen Städteatlas Fulda und ihre Pläne für eine digitale, interaktive Version dieser Mappe, die als Pilotobjekt für eine (im Vergleich zu den bisherigen PDFs bzw. Rasterbildern) höherwertige, nachnutzbare Variante aller zukünftigen gedruckten Ausgaben dienen soll.
Die Kollegen aus Luxemburg stellten zunächst zwei Dissertationsvorhaben vor: Um einen entsprechenden Korpus aufbauen zu können, untersuchte Karl Solchenbach Altkarten des Erzstiftes Trier und des Herzogtums Luxemburg. Per Analyse mit analogen und digitalen Methoden (in erster Linie der kartometrischen Distanzen und der verwendeten Toponyme) gelang es ihm, direkt auf Vermessungen basierende Primärkarten von ihren zahlreichen Kopien zu unterscheiden und zu kategorisieren. In der zweiten, gerade erst begonnenen Arbeit steht mit dem sogenannten Ferraris-Atlas die erste Landesaufnahme Luxemburgs von 1771-1777 durch die habsburgische Monarchie und ihre Aussagekraft bezüglich des Kulturlandschaftswandels im Mittelpunkt der Forschungen. Darüber hinaus berichtete Martin Uhrmacher von den kürzlich eingepflegten Ergänzungen im Luxatlas (hauptsächlich der interaktiven Schrägluftansichten und der in den Feuilletons des Journalisten Batty Weber von 1913-1940 beschriebenen Orte) sowie den geplanten Erweiterungen (etwa in Form der 3D-Erweiterung für die Fassadenpläne Boitards vom Anfang des 19. Jahrhunderts).
Schließlich fragte Wolfgang Rosen vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte nach den Gründen für die Stadtwerdung von Rees, das sich aufgrund eines bald anstehenden Jubiläums in Bearbeitung für den rheinischen Städteatlas befindet und dessen Erhebung sich nur im Kontext der Privilegierung der umliegenden Siedlungen erklären läßt.
Der folgende Mittagsimbiss gab allen Beteiligten ausreichend Gelegenheit sich zu stärken, dank nahegelegenem Schloßpark sich die Beine zu vertreten, den Ausblick zu genießen oder mit Gleichgesinnten auszutauschen und vernetzen. Als kleines Highlight bot der Hausherr danach eine Führung durch die Kartensammlung des HI an, wo die Teilnehmer nicht nur plano Material wie Stellwerkspläne der Eisenbahn aus der Nachkriegszeit hautnah begutachten durften, sondern auch ganz anschauliche Schätze wie eine „Raumbild-Brille“ (Stereoskop), über die sich Luftaufnahmen dreidimensional erleben lassen, und einen jüngst erworbenen Lithographiestein der Topographischen Karte 1:25.000.
Ein buntes Potpourri lieferten ebenfalls die Vorträge des Nachmittags: Carla Heym stellte die im Zuge des interdisziplinären Projekts „Rubiacum“ an der Universität Bamberg laufende Baubestandserfassung von Rufach im Elsaß vor und machte viele der Anwesenden u. a. mit dem spannenden Thema der Ehgassen bekannt.
Dank freier Daten und der Nutzung von GIS konnte die Archäologin und Wegforscherin Ulrike Steinkrüger von der Altertumskommission für Westfalen detaillierte Analysen zu den Sichtachsen und -feldern bei Landwehren durchführen und dadurch ganz neue Erkenntnisse über die Art und Positionierung von Warttürmen, Schlagbäumen und anderen Wegsperren gewinnen.
Jana Moser (Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig) präsentierte die Ergebnisse der Digitalen Kartenwerkstatt Altes Reich, die anhand dreier Fallstudien innovative und anschlussfähige Konzepte der Repräsentation von Pluralität und Konkurrenz von Räumen entwickeln sollte. Die durch den Nutzer konfigurierbare „Schneeflockensymbolisierung“ erlaubt in Abkehr von den bisher durch flächenhafte Einfärbung suggerierten Homogenitäten und Sicherheiten eine differenzierte Anzeige komplexer Rechtsverhältnisse.
Den Ausklang bildeten dann Gerrit Himmelsbachs (Archäologisches Spessartprojekt e. V.) Ausführungen zur äußerst rätselhaften Spessartkarte des Paul Pfinzing, die dieser 1594 als Auftragsarbeit von einem wesentlich größeren, jedoch verschollenen oder zerstörten Original kopierte und deren Zweck und Nutzung aufgrund der willkürlich anmutenden enthaltenen Objekte und Beschriftungen nach wie vor im Verborgenen liegen.
Eine Abschlußdiskussion beendete die ebenso abwechslungs- wie ertragreiche Veranstaltung. Das nächste Treffen wird dankenswerterweise wieder Luxemburg ausrichten – man sieht sich hoffentlich im Herbst 2027 in Esch-sur-Alzette Belval.